Familien und die Vollzeit-Vision

Liebe Familienlobbyisten und Familienpolitiker,

was ist nur los mit Euch? Längere Kinderbetreuungszeiten müssen her? Damit Mama UND Papa bereits im vierten Lebensmonat ihres Nachwuchses wieder einer befriedigenden Vollzeittätigkeit nachgehen können, oder wie? Vollzeitjob plus (Klein-)Kinder? Aha – das ist alles ganz easy zu vereinbaren, sobald es nur genug 14-Stunden-Betreuungsplätze gibt? Oh Schreck. Achsoo, flexible Arbeitszeiten. Klar, natürlich, ich setz mich doch gern nach einem 12-Stunden-Außerhaustag zuhause nochmal ran und arbeite im Homeoffice bis 23.00 Uhr Liegengebliebenes auf. Entspannen können sich die anderen, ich zieh durch. Bück dich hoch. Hah!

HABT IHR SIE NOCH ALLE? 

Schon eine Teilzeittätigkeit ist doch kein Garant für ein geordnetes Familienleben. Gehen wir mal davon aus, man arbeitet bei einer klassischen 40-Stunden-Woche auf 80 Prozent. Das sind rein rechnerisch 32 Stunden pro Woche, macht am Tag 6,5 Stunden Arbeitszeit. Plus der gesetzlich vorgeschriebenen 30-Minuten-Pause ist man also 7 Stunden am Arbeitsplatz anwesend. Rechnet man noch jeweils 30 Minuten An- und Abfahrt hinzu und plant einen klitzekleinen Puffer von 15 Minuten ein, ist man bei 8,5 Stunden täglich benötigter Kinderbetreuungszeit. (Memo: Teilzeit.) Man müsste das Kleinkind also um 8 Uhr morgens abgeben und um 16.30 Uhr abholen können. Schon mal ganz schön lang, und gar nicht so einfach zu finden.

Nur: dann hat man immer noch keine Zeit, fürs Abendessen einzukaufen oder mal die löchrigen Stiefel vom letzten Winter zum Schuster zu bringen. OK, Luxussorgen, geschenkt – wozu gibt es denn den Samstag, da kauft man eben für die komplette Woche ein, und wer braucht denn frisches Gemüse? Falls man doch mal einen Samstagvormittag nicht mit Klopapier-Einkäufen verbringen wollte, schleppt man alternativ das unmotivierte, müde Kind wochentags um 16.45 Uhr in den Supermarkt, ein herrlicher Spaß für alle Beteiligten, vor allem an der Kasse in Nähe von Quengelware und Zeitschriftenregal.

Doch halt! Die Kinder wollen/sollen ja ab einem gewissen Alter auch mal zum Blockflötenterror, Bockspringen oder Schwimmunterricht. Zeitraubender, bourgeoiser Müll, der ohnehin pauschal unter dem Verdacht der überehrgeizigen Frühförderung steht? Nein: Es hat einfach seine Vorteile, wenn das Kind beim nächsten Spaziergang an der Hafenmole nicht permanent in Lebensgefahr wandelt, oder nicht im Alter von 16 mit dem Sitzsack fest verwachsen ist (zugegeben: der finale Nutzenbeweis kindlicher Flötendarbietungen steht noch aus.)

So verfolgt man beispielsweise den Plan „Kind soll schwimmen lernen“. Also belegt man resignierend einen Schwimmkurs um 17 Uhr, um dann für ein paar Wintermonate lang zweimal die Woche erst um 18.45 Uhr daheim zu sein, die steifgefrorenen Haare des Schwimmschülers aus der Mütze zu fönen und der wahlweise a) hysterischen oder b) komatösen Brut mit fliegenden Händen eine Großpackung Fischstäbchen in die Pfanne zu hauen. Salat? War grad nicht im Haus. Noch kurz mitgerechnet: Das Kind und man selbst waren dann 11 Stunden ohne Pause außer Haus. (Memo: Teilzeit.)

Puh.

Potenziert wird der Dauerlauf übrigens noch mit jedem hinzukommenden Geschwisterkind, möglicherweise in einer anderen Kita/Schule untergebracht und mit anderen Interessengebieten ausgestattet, was die kargen Zeitpuffer bis aufs Letzte ausreizt und die verfügbaren Nachmittagsstunden komplett killt.

Wie, schon im Stress? Wieso. Ist doch nur Teilzeit! Und in Wahrheit wollen wir Familienmanager doch am liebsten alle Vollzeit arbeiten, wenn, ja, wenn es nur endlich bessere Betreuungsmöglichkeiten gäbe. Oder doch nicht?

Ich jedenfalls nicht.

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